Was Manager von Kindern lernen können

Wenn Kinder Manager coachen, machen sie Schluss mit Ideenstaus und Denkverboten – notfalls auch mit Knete.
Protokoll eines ungewöhnlichen Pilotprojektes.

Von Cornelia Schmergal für die Wirtschaftswoche

So also hat sich Paula eine Managerin vorgestellt. Als eine Frau mit durchgedrücktem Rücken, einem sehr hochgereckten Kinn und etwas umständlichen Kleidern. Als eine Frau, die offensichtlich niemals lacht und über ihr Arbeitsleben mit näselnder Stimme sagt: „Mir ist wichtig, dass ich wichtig bin.“
An dieser Stelle kichert es vernehmlich im Publikum, dort, wo die echten Manager sitzen. Paula ist zwölf Jahre alt und ihre Führungserfahrung beschränkt sich bislang darauf, dass sie neulich zur Klassensprecherin gewählt wurde. Bis zu diesem Morgen hat sie mit leibhaftigen Führungskräften noch nie zu tun gehabt. Nun aber steht sie vor Geschäftsführern und Unternehmensgründern und improvisiert sich in eine unbekannte Welt – in eine Welt, in der es Chefsessel,
Vorstandsassistentinnen und umständliche Kleider gibt.

Kindermanager: Wie entsteht Kreativität?
Zwei Tage lang wird Paula an diesem Wochenende mit einem halben Dutzend Erwachsenen verbringen. Gemeinsam mit 15 anderen Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 16 Jahren nimmt sie an einem Workshop für Schüler und Manager teil. Es geht um Motivation und die Lösung großer Führungsfragen: Wie entsteht Kreativität? Wie nutzt man die Energie einer Gruppe? Wie löst man seine ganz persönlichen Denkblockaden? Und damit erst gar kein Missverständnis aufkommt: Es sind die Kinder, die hier die Erwachsenen belehren. Nicht etwa umgekehrt. In einem alten Fabrikgebäude im Norden Berlins organisiert die European Leadership Academy (ELA) mehrmonatige Fortbildungen für Manager. 16 400 Euro kostet etwa das zehnmonatige Führungskräfteprogramm, Einführung in Meditation und Entspannungstechniken inklusive. Die Zielgruppe, sagt ELA-Geschäftsführer Guido Fiolka, seien „Menschen, die bereit
sind, über konventionelle Denkweisen hinauszugehen“. Seit der Finanzkrise scheint das besonders gefragt zu sein. Neulich hat die ELA beim Handelskonzern Metro eine Gruppe Finanzexperten gecoacht, auch andere Dax-Unternehmen schicken ihre Mitarbeiter zum Training. Zu den Kunden gehören außerdem Hugo  Boss, die Berliner Charité oder die Universität Freiburg.

Früher sprachen Manager mit Pferden
Früher sprachen die Manager schon mal mit Pferden, hangelten sich durch baumhohe Klettergärten oder heulten mit den Wölfen in den brandenburgischen Wäldern. Heute sind andere Herausforderungen gefragt – Kinder. Zum ersten Mal gehört zum ELA-Programm, dass gestandene Manager sich vom Nachwuchs die Meinung sagen lassen. Es ist ein Pilotprojekt, vor dem die Erwachsenen durchaus Respekt entwickeln. „Ich habe etwas Ehrfurcht, weil man ja nie weiß, wie Kinder ticken“, sagt Rasmus Symanzik, ein 26-jähriger Startup-Unternehmer, der sich vor Seminarbeginn an seine Kaffeetasse klammert. „Im Management denkt man oft viel zu zielfokussiert“, sinniert Unternehmerkollege Roland Siebert.

Zehntklässler mahnt Führungskräfte
Im Workshop geht es um echte Probleme aus dem Managerleben. Die erwachsenen Teilnehmer schleppen sie schon lange
mit sich herum. Der preisgekrönte 52-jährige Filmemacher Gerardo Milsztein etwa möchte wissen, wie man einen Financier
für einen Streifen gegen Gewalt an Schulen findet. Startup-Unternehmer Symanzik überlegt, wie ein Internet-Werkzeug für
freie Journalisten aussehen müsste. Und Karrierecoach Oliver Hirsch grübelt, wie man das Popularitätspotenzial ehemaliger
Profisportler heben kann. Sie alle hoffen auf konkrete Antworten, die in gemeinsamen Arbeitsgruppen gebastelt werden –
unter Anleitung der Kinder.
Barrieren im Kopf erkennen
„Ich möchte wissen, welche Barrieren ich im Kopf habe“, erzählt Evelyn Pieper, die als Managerin bei einem großen
Pharmaunternehmen arbeitet. „Kinder sind unbefangen. Viele Erwachsene benehmen sich leider, als hätten sie einen Stock
verschluckt – gerade im Berufsleben.“ Von der Technikexpertin ahnt man, dass ihre Mitarbeiter vermutlich vor Schreck
erbleichen würden, würde sie im echten Berufsleben so ausdauernd geduzt und geknufft wie an diesem Wochenende. Für die
Schüler indes ist vor allem eines beeindruckend: Dass „die Evelyn“ einen Hund hat.
Überhaupt zeigt der Nachwuchs kaum Berührungsängste: Die Gruppenleiter, keiner älter als 15 Jahre, sind mindestens so
streng wie 35-Jährige. Da mahnt ein Zehntklässler schon mal die Führungskräfte, sich doch bitte zu beeilen, weil „wir die
Rolle der Stakeholder noch definieren müssen“. Die Kinder sind perfekt vorbereitet. Manche der Manager finden am ersten
Tag sogar: zu perfekt.
Wenn sie nicht gerade Führungskräfte coachen, besuchen die Kinder und Jugendlichen die Evangelische Schule Berlin
Zentrum (ESBZ), die auf ihrer Homepage mit einem „radikalen Wandel der Lernkultur“ wirbt. Dass es sich um eine der
ambitioniertesten Vorzeigeschulen der Hauptstadt handelt, merkt man den Schülern an. „Sie sind das Rausgehen gewöhnt“,
sagt Carolin Treier, pädagogische Leiterin „Sie trainieren soziale Kompetenzen und den Mut, sich auf Neues einzulassen.“
So bringen ihre Schüler Kindern mit Migrationshintergrund besseres Deutsch bei, wählen ihre eigenen Schülerbischöfe,
organisieren dreiwöchige Reise-Herausforderungen, schulen ihre Lehrer und trainieren so ganz nebenbei
Managementmethoden, weil man ja nie weiß, wo man später mal beruflich hin will. Schon im Sommer haben die Schüler in
einem Design-Thinking-Workshop professionelle Kreativitätstechniken geübt. Und die wollen sie nun endlich ausprobieren –
an echten Führungskräften.

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